Orcas bei Sines

05.07.2022
Wir fahren weiter nach Sines. Happy Sailing, bestes Segelwetter, die Welle kommt von schräg achtern und ist somit nicht unangenehm. Wir segeln im Butterfly, das Groß Backbord, die Genua ausgebaumt Steuerbord. Ein Delphinschule besucht uns und stellt ihre synchronen Sprünge zur Schau- ich glaube das wird nie langweilig. Läuft. Am frühen Abend laufen wir in Sines ein. Die Marina liegt in einer Bucht, neben einem Badestrand und Ankerplatz. Von einem der größten Containerhäfen Europas nebenan bekommen wir gar nichts mit. Ein ruhiges Plätzchen.Da es von Sines nach Lagos ca. 77 nm sind und der Wind erst gegen Mittag einsetzen soll, bereiten wir uns auf einen 15 Stunden Schlag vor. Dazwischen gibt es keinen Hafen mehr. Um nach Lagos zu kommen, müssen wir das Cabo São Vicente, den südwestlichsten Punkt von Festland Europa umsegeln. Wenn wir erst "um die Ecke rum" sind, sollte die See ruhiger, das Klima beständiger sein.

Gegen 5:30 Uhr fahren wir raus, damit wir noch Luft haben und die Einfahrt in Lagos spätestens zur letzten Brückenöffnung der Marina, 21:30 Uhr, schaffen sollten. 
Gegen 10 Uhr bemerkt Alex Bewegung auf dem Wasser. Ich denke erst es sind wieder Delphine- hm, sehr kleine... sehen aus wie Thunfische... fliegen komisch durch die Luft... oder doch Delphine...? Eine Getose herrscht unweit vom Boot. Da wir uns vorgenommen haben, solche Erlebnisse erstmal zu genießen, bevor wir uns ein Handy vor die Augen halten, um Fotos zu machen, gibt es nur eine Aufnahme. Alles ist sehr schnell vorbei und wir überlegen, was wir da grad gesehen haben. Eine Jagd wahrscheinlich. Jemand hat Thunfische gejagt. Delphine? Alex meint die Rückenflossen sprechen für Orcas. Tatsächlich, das Foto ist zwar von schlechter Qualität, die Finne ist aber trotzdem zu erkennen. Und Orcas wirbeln ihre Beute in die Luft, damit diese bewusstlos wird, das ist bekannt. Krass. Scheiße, waren das wirklich welche? Ohne das Hintergrundwissen, dass Orcas zwischen Portugal und Spanien regelmäßig vor allem Segelboote angreifen und scheinbar gezielt die Ruderanlagen zerstören und die Boote somit manövrierunfähig machen, wäre das wohl beeindruckend gewesen. So haben wir aber einen Stein im Magen. Als uns dann ein deutscher Segler beim Überholen anfunkt und erzählt, genau hier wurde vor 3 Tagen ein anderes Segelboot angegriffen, das ohne Ruder nach Sines abgeschleppt wurde, wird mir schlecht. Letztes Jahr seien hier teilweise 2-3 Boote pro Woche mit kaputtem Ruder abgeschleppt worden 😳. Dazu kommt, dass es ein bewölkter Tag ist, was die Stimmung eh schon düster macht. Und die Tatsache, dass in den nächsten 40 nm, also 8 Stunden, erstmal kein Hafen kommt.
Wir schauen in unseren Büchern nach, wie man ein Notruder bauen kann, gut dass wir so viel Werkzeug an Bord haben, das sollte machbar sein. Als wir um das Cabo de São Vicente herum sind und an Sagres vorbeisegeln, klart der Himmel auf. Als wir nach Lagos einbiegen, fällt eine Last von unseren Schultern und die Spannung löst sich merklich. Hatten wir vorhin Glück, weil die Orcas grade gejagt haben? Waren es andere, die gar nicht auf Segelboote gehen? Scheinbar sind es nur ein paar wenige Jungtiere. Und scheinbar leben sie „nur ihren Spieltrieb aus“. Momentan wird davon ausgegangen, dass die Orcas nicht wirklich auf Angriff gehen, denn dann könnten die intelligenten Tiere viel größeren Schaden anrichten. Wir sind in ihrem Revier unterwegs und sind auf ihre Güte angewiesen.
Es bleibt ein mulmiges Gefühl, vor allem für die Fahrten Richtung Mittelmeer, vor Cádiz und der Straße von Gibraltar gab es dieses Jahr schon unzählige "Interaktionen". Wie wir jetzt herausgefunden haben, gab es an diesem Tag am frühen Abend etwas nördlich von uns 3 Ocra Interaktion mit einem Boot, einmal ohne, zweimal mit gröberen Schäden. Die Homepage der orcaiberica.org informiert, wie man sich verhalten soll und publiziert die gemeldeten Interaktionen. Sie ist gut gedacht aber leider überhaupt nicht up to date und es fehlen Detail Infos wie z.B. Uhrzeit, Wind, Wetter, Verhalten des Bootsführers, Bootstyp, Entfernung zur Küste etc. aus denen man vielleicht eine eigene Strategie ablenken könnte, um wenigstens gefühlt vorbereitet zu sein. Es bleibt gruselig.Jetzt sind wir erstmal in Lagos und verdauen das Ganze.
Nachtrag: Seit Juli gibt es eine Seite, die die gemeldeten Interaktionen zeitnah postet und mit nützlichen Details versieht:  theca.org.uk/orcas/reports