[Gastbeitrag] Das A-Team - von Gibraltar auf die Kanaren

02.12.2022
Rund vier Monate sind seit der Biskaya Überquerung vergangen. Die Aussicht auf ein weiteres Abenteuer lockt und die Freude ist gross, Alex auf dieser weiteren Überführung zu unterstützen. Mit den Erfahrungen der Biskaya schien nun auch diese Etappe durchaus machbar. Zudem haben wir ja bewusst einen Abstecher mit Landgang nach Marokko geplant. Das soll etwas Erleichterung in die bisher längste Etappe bringen.

Ganz anders als beim Biskaya Törn holt uns Alex am Sonntagabend tiefenentspannt vom Busbahnhof in La Linea ab und geleitet uns ins Hotel. Da die Mahea wegen einer grossen Schramme am Rumpf erst am Montag gewassert werden kann und die Strömung im Golf von Gibraltar es eh noch verunmöglicht zu starten, ist genügend Zeit vorhanden um Einkäufe zu tätigen, Wasser zu bunkern, Wäsche zu waschen und einen Abstecher nach Gibraltar zu unternehmen.

Die Berechnungen zeigen, dass wir gegen 17:00Uhr den Golf passieren können. So stechen wir rechtzeitig in See und werden schon fast wie gewohnt kurz darauf von verspielten Delphinen begleitet.

Am Rand der Strasse von Gibraltar entlangschleichen und auf der Höhe von Tarifa 90° zur Berufsschifffahrt-Zone die Passage kreuzen, um möglichst schnell durch zu kommen. So der Plan. So starren wir alle auf den Kartenplotter und beobachten das rege Treiben da draussen. Wir sind immer wieder verblüfft, wieviel Fahrt die Riesentanker machen können und uns zwingen, den Kurs anzupassen. Aus 90° direkt wird eine ziemliche Schlangenlinie.

Nun kann sie starten, die grosse Überfahrt. Es ist an der Zeit, die Wacheinteilung umzusetzen und Schlaf zu finden, damit man ausgeruht genug die eigene Wache antreten kann. Da wir nur zu dritt sind, können wir uns den Luxus einer Nachtwache zu zweit dieses Mal nicht leisten. Spätestens jetzt fehlt uns Esteban am meisten. So haben wir uns alle auf eine 3 Stunden Schicht in solitude eingestellt.

Sandra hat den Reiz der Schicht von 02:00Uhr bis 05:00Uhr schätzen gelernt. Sie nutzt die Zeit, um sich ausgiebig Gedanken zu Segelmanövern zu machen, Selfies von sich zu schiessen und ihren Smartphone Trageriemen zu einem Knäuel zu verknoten. Selbstverständlich alles, ohne die Aufmerksamkeit auf das Geschehen auf den Instrumenten zu verlieren.

So ziehen die Schichten ins Land und 65 Stunden später erreichen wir unser Etappenziel Essaouira. Viele Berichte und Recherchen raten von Besuchen in Marokko ab. Die Rede ist von unattraktiven Industriehäfen, von aufwendigen Einklarierungs-Verfahren, Bakschisch und von gefährlichen Gebieten. Also genau das richtige für uns.

Als einziges Segelboot weit und breit ziehen wir in der Hafeneinfahrt von Essaouira schnell die Blicke der Fischer auf uns. Viele winken und grüssen auf Französisch. Etwas zu viel Aufmerksamkeit für meinen Geschmack. Ein leicht beklemmendes Gefühl kommt in mir auf. Sind alle einfach nur neugierig oder sehen sie bereits fette Beute in uns? Mit unserer Einfahrt ist klar, dass wir unseren Reichtum zur Schau stellen. Zu spät zum Umkehren, wir sind bereits im Bewusstsein dieser Menschen. Dazu kommt ein überfordernder Geruch von Fisch und Diesel sowie der ohrenbetäubende Lärm von tausenden von Möwen, Schiffsmotoren begleitet vom hektischen Treiben der Fischer. Das alles lässt zumindest meinen Puls höherschlagen.

Der freundliche Hafenwachmann fordert uns auf, längsseits an einem grösseren Fischkutter anzulegen. Schnell sind auch Fischer zur Stelle, die uns die Leinen abnehmen und fachmännisch an ihrem Kutter festmachen. Dann erklärt uns der Wachmann, dass wir drei Stationen der Anmeldung durchlaufen müssen. Daten erfassen bei ihm, der Gang zur Polizei mit den Pässen und dann das Hafenamt. Gleichzeitig wird ein junger Fischer namens Mohad mit der Aufgabe betraut, auf unser Schiff aufzupassen. Alex bleibt auf dem Schiff und lässt das Prozedere mit dem Drogenspürhund über sich ergehen. Sandra und ich machen uns etwas angespannt auf zu den Ämtern an Land. Wir geben uns hilfsbereit und neugierig und treffen ausschliesslich auf herzliche, wohlwollende und lachende Beamte, die uns hilfsbereit durch den ganzen Prozess führen. Wir sind überrascht, wie schön diese Begegnungen sind.

Nach einem unglaublich spannenden Landgang durch den charmanten Ort mit dem mystischen Hauch vom Orient entscheiden wir dennoch, aus meteorologischen Gründen den Hafen zu verlassen, in der Bucht davor zu ankern und um 24:00Uhr auszulaufen.

Zurück auf dem Schiff wird es dann nochmals hektisch, da wir offenbar den Hafenmeister falsch verstanden haben. Er war der Meinung, dass wir sofort auslaufen und den Anker werfen. So müssen Alex und ich doch nochmals auf die Kapitanerie, um uns zu rechtfertigen. Zum Schluss ist er dann doch zu arbeitsscheu und lässt uns ohne weitere Konsequenzen ziehen.

Nach eine wenig Schlaf laufen wir Punkt 24:00Uhr aus. Wir sind alle wach, was wir später noch büssen sollen, weil dann doch viel Schlaf fehlt. Ich tausche meine Wache mit der von Alex. Er wirkt sichtlich erschöpft, da er bereits sehr lange auf den Beinen ist. Kaum hat er den Vorhang vor dem Abstieg gezogen, beginnt es in Strömen zu regnen. Die Fahrt wird sehr unruhig. Übermüdet und angespannt durch das Gewitter versuche ich, die Genua einzuholen. Dummerweise hat sich die Genuaschot auf der Winsch überworfen und lässt sich nur mit Mühe lösen. Inzwischen ist soviel Spannung auf den Schoten, dass mich Alex auffordert die Schot loszuwerfen. Diese schnellt allerdings nach vorne und verheddert sich komplett im Genua - Rollkasten. Es folgt das, was man eigentlich vermeiden will. Alex verbringt bei diesem Hudelwetter ca. 1 Stunde damit, das Chaos auf dem Vorschiff zu entwirren, während ich weiter die Instrumente beobachte. Er ist spürbar sauer und verschwindet nach getaner Arbeit durchnässt, durchgefroren und grusslos in der Koje. Ein gute Mütze Schlaf wird helfen.

Der Rest der Reise verläuft reibungslos. Ab und an machen uns Funksprüche über die Sichtung erneuter Boote mit Flüchtlingen sehr nachdenklich. Man muss sich bewusst machen, dass da teilweise 40 bis 50 Menschen in einem Boot unterwegs sind, dass kaum grösser ist als unsere 11 Meter Yacht. Die sind ohne Instrumente im genau gleichen Sauwetter unterwegs wie wir. Wir können uns nur am Rande vorstellen, was das bedeutet.

Wie angekündigt nimmt der Wind ab und den Rest der Reise laufen wir unter Motor. Besser gesagt, in der Schicht von Alex hat es immer Wind und in der von Sandra oder meiner eher nicht. Ich nehme das schon bald persönlich.

«Land in Sicht» ruft Alex nach 40 Stunden Überfahrt seit Essaouira. Wir laufen den Hafen von La Graciosa an. Ein erstes Mal enttäuschend: Der Hafen sei voll. So müssen wir trotz Müdigkeit in der Bucht 20min vom Hafen entfernt ankern. Mit dem Dinghy an Land, lecker Fische essen und einen Freund von Alex treffen. Wir sind müde und gehen zeitig zurück, was sich kurze Zeit später als Glück herausstellt. Kurz nachdem wir auf dem Schiff sind zieht ein unangekündigter Sturm auf, der uns bis ca. morgens um 03:00Uhr beschäftigt. Dem Katamaran vor uns reisst es den Anker aus. Er treibt auf uns zu. Sandra in Beobachtungsstellung. Ich an der Ankerwinsch, bereit mehr Kette zu geben. Alex mit dem Signalhorn, um dem überforderten Kat-Skipper zu signalisieren, dass er den Motor anwerfen und reagieren soll. Hektische und aufreibende Momente, aber es geht nochmals gut. Die Mahea hat sich fest im Grund verkeilt und somit werden wir nur etwas durchgeschüttelt. Sicherheitshalber legt sich Alex oben hin, falls der Ankeralarm nochmals losgeht. Allerdings muss man hier erwähnen, dass so ein Alarm es nicht vermag, Alex aus seinem Zen-mässigen Schlaf zu reissen. Ich vermute, er baut solche Geräusche einfach in seine Träume ein. Aufwachen ist was für Anfänger, so passe ich dann etwa eine oder zwei Stunden auf Alex und den Alarm auf.

Nach den ganzen Strapazen ist der Folgetag eine wunderbare Erholung mit Baden, gutem Essen, Faulenzen und sich Pflegen. Auch der Schlaf in der Folgenacht ist so tief wie selten.

Die Idee, nach zwei Nächten in der Bucht in den Hafen einzulaufen und den Ankerplatz zu nehmen von Alex's Freund ist gut. Aber wir haben die Rechnung ohne die total dienstleistungsfremden Beamten von La Graciosa gemacht. Der Hafen ist nach wie vor halbleer, dennoch weist uns der Hafenhelfer unfreundlich ab. «We are full!» Ich glaube, wir sind alle ziemlich angepisst von dieser Art. Wenn man bedenkt, wie freundlich und zuvorkommend wir in Marokko behandelt wurden, ist das hier auf La Graciosa einfach nur enttäuschend. So müssen wir wieder zurück zum Ankerplatz und entscheiden uns trotzig gegen ein Abendessen im Ort. Um dem Abend doch noch etwas Gutes abzugewinnen, besorgt Alex eine gute Flasche Weisswein und kredenzt seine legendären DDR-Spaghetti. Wir schauen uns den Film «Master and Commander» auf dem IPad an, genissen das Essen und den süffigen Wein. Ende gut alles gut.

Alex hat beschlossen, die kommende Woche mit Nalani auf La Graciosa zu verbringen. So nehmen wir am Folgetag um 10:30Uhr die Fähre nach Lanzarote. Früh aufstehen, in den Hafen segeln um vor der Abfahrt noch einen Kaffee zu trinken.

Wir sind stolz und erfüllt, weil wir doch zu dritt eine beachtlich Leistung hinter uns gebracht haben, was uns immerhin den Titel «Das A-Team» eingebracht hat. Es gab einige heikle Momente, die wir aber ziemlich gut gemeistert haben. Wir sind gleichzeitig auch traurig, denn das war möglicherweise die letzte Reise für uns mit der Mahea. Wir haben die schwierigsten Passagen mit ihr erlebt und wünschen ihr nun eine gute Überfahrt in die Karibik und möge sie Alex, Ina und Nalani zuverlässig in sichere Hafen segeln.