Ein ganz normaler Segeltag (Abb. ähnlich)
„Also, wie sieht denn nun so ein ganz normaler Segeltag bei euch aus?“, habt ihr gefragt.
Woll‘n mal seh‘n:
Und los geht's:
4:57 mein Wecker klingelt, ich hab 3' Zeit zu mir zu kommen. Alex schält sich zuerst aus der Koje. Ich hab noch einen Moment bevor ich über Mini klettere und sie vorsichtig so drapiere und ringsum mit Kissen umrahme, damit sie geschützt ist, sollte das Boot hin und her rollen.
5:15 Rettungswesten aus dem Schrank holen und griffbereit oben ablegen
5:16 Wasser aufsetzen für den Kaffee
5:17 die Kombüse klar machen, alles verräumen, damit nichts durch die Gegend fliegt, die Topfklammern auf dem Herd befestigen, die Spanngummis an den Schubfächern anbringen, damit diese nicht rausrutschen, sollte es stark schaukeln
5:23 klar Schiff machen:
✔️falls nicht am Vorabend verräumt wird das Sonnenzelt oder an kälteren Tagen das Cockpitzelt verräumt.✔️ Baum umhängen
✔️ Schoten am Mast prüfen
✔️ Deck von den Zeugnissen menschlichen Alltags befreien
✔️ Sämtlichen Kram, der nichts mit dem Segeln zu tun hat aus dem Cockpit räumen
✔️ Festmacherleinen prüfen, gegebenenfalls so umlegen, dass sie vom Boot aus losgemacht werden können
✔️ Motorraum, Öl checken
✔️ Motor starten (der olle Diesel braucht es kuschelig warm, damit er bei Laune bleibt)
✔️ ggf. Positionslichter anschalten
✔️ Instrumente (AIS, Autopilot, Tiefen-, Geschwindigkeits-, Windmesser, Plotter) starten
✔️ Windrichtung für das Ablegemanöver prüfen
✔️ kurze Besprechung des Ablegmanövers
5:45 LEINEN LOS / ANKER LICHTEN
5:58 (Groß)segel setzen: Rettungswesten anziehen. Alex hakt sich ein und geht vor an den Baum, um das Segel zu setzen. Sobald er bereit ist, gibt er mir ein Zeichen und ich steuere in den Wind (damit er das Segel leichter hochziehen kann, da bestenfalls nicht zu viel Druck darauf liegt). Ich löse die Schot am Baum, was es leichter macht das letzte Stück Segel in den Mast hoch zu ziehen - wir setzten fast immer das Groß, da es auch bei wenig Wind hilfreich ist um das Boot zu stabilisieren- als Gegengewicht zu unserem Eisenkiel unter Wasser, der, wenn zB durch Wellen in Schwingung gebracht, für ganz schönes Geschaukel sogen kann
6:50 ich verabschiede mich nach unten um „nach Mini zu sehen" / "nochmal kurz zu hören ob die Matratze Geräusche macht" / „meine Augenlider auf Löcher zu prüfen“.
7:00
Wind: Alex holt je nach Wind die Genua (das Vorsegel) dazu. Mini und ich kullern auf Grund der dadurch entstehenden Krängung (Schräglage) durchs Bett und bleiben in einer Ecke liegen.
kein Wind: Alex macht sich Frühstück. Wenn es eine Welle ohne Wind gibt, kullern Mini und ich im Bett hin und her- was sie nicht aufweckt, mich aber nicht mehr einschlafen lässt.
9:00 Wenn wir im Mittelmeer sind hat der Wind inzwischen 20 Mal gedreht, abgestellt und wieder aufgefrischt. In diesem Fall habe ich kein Auge mehr zu gemacht. Auf dem Atlantik sind die Windverhältnisse stabiler, ändern sich also nicht alle 10 Minuten so krass, dass man ständig die Segelstellung anpassen muss. Der Wachhabende kann also (je nach Wetter) auch mal den Blick und die Gedanken schweifen lassen, happy sailing.
Und so plätschert der Tag dahin.
Je nach Wind machen wir ein paar ein Manöver. Wenn wir gegen den Wind kreuzen beispielsweise müssen wir hin und wieder eine Wende machen.
13:00 Hunger kommt auf
13:30 wir debattieren noch, ob wir kochen oder Brote machen sollen oder doch einfach nur einen Snack nehmen
14:00 die Stimmung kippt, höchste Zeit Essen ran zu holen
14:15 zum Brote schmieren hat es grad noch gereicht, der Hunger kann erstmal gestillt werden
14:30 Überlegungen, ob wir uns irgendwie einen Koch an Bord holen können
14:34 Da! Delfine!
14:35 Nee, doch nicht
15:00 Ich geh mit Mini nach unten, nehme sie in die Trage und läute so den Mittagsschlaf ein. Sobald sie schläft, lege ich sie ins Bett
15:30 Mittagspause und Zeit für uns: je nachdem wann wir aufgestanden sind holt Alex sich jetzt auch nochmal eine Mütze Schlaf- oder es gibt was zu reparieren.
17:00 wir nähern uns dem Zielhafen
17:10 Mini wird wach
17:30 Mini ist versorgt und sitzt wieder bei uns im Cockpit
17:40 Ich bereite das Deck fürs Anlegen (Fender und Leinen) oder ankern (Ankerkasten) vor.
17:55 show time!
Oder noch nicht, da Mini grad entschieden hat, dass sie unter gar keinen Umständen auch nur 1 Sekunde länger sitzen kann. Jetzt müssen die schweren Geschütze aufgefahren werden: Telefon oder Tablet gehen in die nun hoch erfreuten Kinderhände über, die am Gerät sofort einen intensiven Belastungstest ausüben.
Egal, jetzt erstmal ankommen.
18:00
Hafen:
Wir fahren in den Hafen ein, Alex ruft über Funk rein, erfragt das weitere Vorgehen. Bestenfalls bekommen wir einen Liegeplatz durchgesagt und können gleich dorthin. Da wir mit Dinghy am Heck meist vorwärts in die Box gehen, bin ich am Bug, um die Leinen fest zu machen. Hat die Box einen Seitensteg springe ich auf halber Bootshöhe raus und gehe mit der Leine vor und mache sie fest. Dabei halte ich Alex über den Abstand nach vorn auf dem Laufenden. Idealerweise hört er mich, andernfalls raunt es "ABSTAND!?". Dann der 2. Festmacher vorn, eventuell noch eine Leine an der Mittelklampe, wenn der Steg zu kurz ist. Sind wir erstmal fest, wird der Motor abgestellt. Danach werden Springs angebracht (zusätzliche Leinen, die das Boot am Steg halten, wenn nötig). Einer macht dann die Kosmetik, also beispielsweise legen wir die Leinen so, dass sie an Land einmal um die Klampe gelegt wieder an Bord kommen und dort festgemacht werden. So kann ich sie beim Ablegen vom Deck aus bedienen. Die andere Person geht mit unserer Tochter den Papierkram erledigen. Mini ist dabei die wichtigste Persönlichkeit, um die Büroleute bei Laune und uns gegenüber positiv gesinnt zu halten- wir wollen ja schließlich nicht 2 Stunden im Office sitzen.
In Spanien und Portugal gibt eigentlich immer Marineros, die am Steg warten, die Leinen abnehmen und so beim Anlegen unterstützen (wollen) - was aber auch schiefgehen kann. Beispielsweise, wenn der Marinero entscheidet die Leinen nochmal umzumodeln, weil er lieber das Auge am Steg hat; oder spontan entschließt die Vorleine mittig und dann zu kurz fest zu machen, weil es windet; oder zu viel Zeit mit Kosmetik verbringt, anstatt das Schiff erstmal festzumachen; oder die Leine abnimmt und dann einfach nichts macht außer glotzen. Daher sind die Marineros beim Festmachen mit Vorsicht zu genießen. Andererseits: wenn man sich das Hafenkino im Mittelmeer so ansieht, wo die Hälfte der Boote viel zu schnell und planlos in die Box brettert, ohne Fender ausgebracht oder auch nur eine Leine zu festmachen bereit haben- da bewahren die Marineros sicher mal 1 Boot am Tag vor der Katastrophe.
Ankern:
Den Ankerplatz haben wir schon im Laufe des Tages je nach Wind und Welle herausgesucht. Bestenfalls haben wir eine geschützte Bucht gefunden, in der noch nicht zu viele Schiffe liegen. Wir suchen uns einen Spot mit sandigem Untergrund. Gibt es viel Seegras, dann ist die polarisierte Sonnenbrille jetzt Gold wert, vor allem wenn es bedeckt ist. Da ich am Bug stehe habe ich die bessere Übersicht und entscheide wann ich den Anker ins Wasser lasse. Da die Kommunikation mit rufen vor allem wenn es windet nur schlecht funktioniert (was zu Missverständnissen und erhitzten Gemütern führt), rufen wir uns wenn möglich an- kabellose Kopfhörer machen's möglich. Ich sag Alex bescheid, dass ich den Anker werfe und dann wieder alle 10 Meter Kette. Meist lasse ich erstmal 30 Meter raus, dann schauen wir ob die Kette hält. Wenn ja, bleibt es so oder ich geb nochmal 10 Meter, je nach Wassertiefe und Platz. Wenn er nicht hält, hol ich die Kette nochmal hoch und das Spiel geht von vorn los. Bisher liegt der Rekord bei 4 Versuchen (Maik, erinnerst du dich?).
19:00 Ankertrunk und hochprozentiges für die Meeresgötter
19:30 Wenn es eine nervenaufreibende Fahrt war, gönnen wir uns ein auswärtiges Mahl. Andernfalls gibts Stulle oder kulinarisch ähnlich wertvolles aus der heimischen Kombüse. So oder so geht jemand nochmal mit Mini eine Runde flitzen, um überschüssige Energie freizusetzen.
The rest as they say (not) is up to your imagination.